Dass die Erde heute mehr als acht Milliarden Menschen ernährt, ist auch der modernen Hochleistungs-Landwirtschaft zu verdanken. Doch kommt dieser Erfolg zu einem hohen Preis: Die aktuellen Anbaumethoden gefährden die Artenvielfalt; bei der Produktion synthetischer Dünger entstehen jede Menge Treibhausgase; Agrarchemikalien belasten Gewässer und Umwelt.
Viele dieser Probleme ließen sich durch gezieltere Methoden minimieren - etwa indem nicht ganze Äcker mit Herbiziden behandelt werden, sondern nur die Bereiche, in denen Unkräuter tatsächlich zum Problem werden. Oder durch die individuelle Behandlung erkrankter Pflanzen und durch Düngung dort, wo sie wirklich Not tut. Doch ein solcher Ansatz ist extrem komplex und im großen Maßstab auf herkömmliche Weise kaum zu managen.
Umweltfreundlicher und effizienter mit Hightech und KI
„Eine Lösung könnte die Nutzung intelligenter digitaler Technologien sein“, erklärt Dr. Hugo Storm, Mitarbeiter des Exzellenzclusters PhenoRob. In dem Großprojekt kooperiert die Universität Bonn mit dem Forschungszentrum Jülich, dem Fraunhofer-Institut Sankt Augustin, dem Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung Müncheberg und dem Institut für Zuckerrübenforschung Göttingen. Gemeinsames Ziel ist es, durch neue Technologien und den Einsatz künstlicher Intelligenz den Landbau umweltfreundlicher und effizienter zu machen.
Die Forschenden stammen aus ganz verschiedenen Bereichen - Ökologie, Pflanzenwissenschaften, Bodenwissenschaften, Informatik, Robotik, Geodäsie, Agrarökonomie. In ihrem jetzt erschienenen Positionspapier zeigen sie die Schritte auf, die aus ihrer Sicht in nächster Zukunft prioritär bearbeitet werden müssen. „Dabei haben wir einige zentrale Forschungsfragen identifiziert“, sagt Storm. Eine betrifft das Monitoring, also die Überwachung der Anbauflächen, um Nährstoffmangel, Unkräuter oder Schädlingsbefall rechtzeitig zu erkennen. Einen groben Überblick geben Satellitenaufnahmen, deutlich detailliertere Erhebungen sind mit Drohnen oder Robotern möglich. Letztere können den Acker sukzessive abfahren und dabei sogar den Zustand individueller Pflanzen erfassen. „Eine Schwierigkeit dabei ist es, diese Daten miteinander zu verzahnen“, erklärt Storms Kollegin Dr. Sabine Seidel, die zusammen mit ihm die Veröffentlichung koordiniert hat: „Wann reicht eine niedrige Auflösung, wann muss es detaillierter werden? Wie müssen Drohnen fliegen, um möglichst effizient vor allem die Pflanzen in den Blick zu nehmen, die gefährdet sind?“
Die gewonnenen Daten erfassen den Status quo. Landwirte sind aber vor allem daran interessiert, verschiedene Handlungsoptionen und ihre möglichen Auswirkungen abzuwägen: Wieviel Unkräuter verträgt meine Kultur, und wann muss ich einschreiten? An welcher Stelle muss ich wie stark düngen? Was passiert, wenn ich den Einsatz von Pestiziden reduziere? „Um Fragen wie diese zu beantworten, muss man die Ackerflächen gewissermaßen digital nachbauen“, erläutert Seidel. „Es gibt dazu verschiedene Ansätze. Eine offene Forschungsfrage ist, auf welche Weise sie sich kombinieren lassen, um die Treffgenauigkeit der Modelle zu verbessern.“ Zusätzlich müssen geeignete Methoden entwickelt werden, die auf Basis dieser Modelle Handlungsempfehlungen ableiten. Bei beiden Punkten spielen Verfahren aus dem Bereich des Maschinenlernens und der künstlichen Intelligenz eine wesentliche Rolle.
Landwirte müssen mitmachen
Damit die digitale Revolution im Ackerbau tatsächlich stattfindet, müssen aber auch diejenigen überzeugt werden, die sie umsetzen sollen: die Landwirtinnen und Landwirte. „Wir müssen uns künftig verstärkt mit der Frage beschäftigen, welche Rahmenbedingungen für diese Akzeptanz nötig sind“, erklärt Prof. Dr. Heiner Kuhlmann. Der Geodät bildet zusammen mit dem Leiter der Robotik-Gruppe Prof. Dr. Cyrill Stachniss das zweiköpfige Sprecher-Team des Exzellenzclusters. „Denkbar ist etwa die Schaffung finanzieller Anreizsysteme. Alternativ kann der Gesetzgeber auch Grenzwerte vorgeben, etwa zum Einsatz von Düngemitteln.“ Wie effektiv solche Stellschrauben allein oder in Kombination sind, lässt sich heute ebenfalls mit Computermodellen abschätzen.
Die PhenoRob-Forschenden zeigen in ihrem Paper auch exemplarisch, was mit heutigen Technologien bereits machbar ist. So ist es möglich, einen „digitalen Zwilling“ von Ackerflächen zu erstellen. Dieser wird über Sensoren permanent mit verschiedenen Daten gefüttert - etwa zur Ausdehnung der Wurzeln oder zur Freisetzung von gasförmigen Stickstoff-Verbindungen aus dem Boden. „Mittelfristig wird es so möglich sein, die Düngung mit Stickstoff in Echtzeit je nach lokaler Nährstoff-Situation an den Bedarf der Pflanzen anzupassen“, betont Prof. Stachniss. An manchen Stellen ist die digitale Revolution in der Landwirtschaft also bereits näher, als man vielleicht denkt.
Zur Pressemitteilung der Universität Bonn:
https://www.uni-bonn.de/de/neues/097-2024 | 02.05.2024