Ende der 1990er Jahre startete Prof. Dr. Jens Léon an der Universität Bonn ein Experiment, von dem er wusste, dass es einen langen Atem erfordern würde. Seine Arbeitsgruppe wollte darin der Frage nachgehen, welche Auswirkung die Anbaubedingungen auf die Erbanlagen von Pflanzen haben. Über einen Zeitraum von 23 Jahren führten sie dazu am Institut für Nutzpflanzenwissenschaften und Ressourcenschutz (INRES) eine aufwändige Langzeit-Studie durch. „Zunächst haben wir Hochleistungs-Gerste mit einer Wildform gekreuzt, um die genetische Variation zu erhöhen“, sagt Léon. „Dann haben wir diese Population auf zwei benachbarten Feldern angebaut. Die Gerste wuchs also auf demselben Boden und unter denselben klimatischen Bedingungen.“
Was sich unterschied, waren die Anbaumethoden: Eines der Felder wurde konventionell bewirtschaftet. Auf ihm rückten die Forscher Schädlingen mit Pestiziden zu Leibe, beseitigten Unkräuter mit chemischen Mitteln und sorgten mit Hilfe von Mineraldünger für eine gute Versorgung mit Nährstoffen. Auf dem anderen Feld gingen sie umweltverträglicher zu Werke: ohne Pestizide, mit mechanischen Methoden zur Unkraut-Bekämpfung und durch Düngung mit Stallmist. In jedem Herbst behielten sie einen Teil des Korns, um es im nächsten Frühjahr wieder auszusäen - die Öko-Samen auf dem Öko-Acker, die unter konventionellen Bedingungen gewachsenen auf dem Vergleichsfeld. „Dabei selektierten wir nicht auf bestimmte Eigenschaften, sondern nahmen dazu einfach zufällig einen kleinen Teil der Ernte“, betont Léons Mitarbeiter Dr. Michael Schneider.
Jährlicher Blick ins Genom
Jahr für Jahr analysierten die Forscher zudem das Genom der konventionell und ökologisch angebauten Pflanzen. Jede einzelne Erbanlage kann in unterschiedlichen Varianten vorkommen, die als Allele bezeichnet werden. So existiert beim Menschen ein Gen für die Augenfarbe in den Allelen „braun“ und „blau“. Die Häufigkeit, mit der bestimmte Allele vorkommen, kann sich mit der Zeit verschieben. Dabei spielen unter anderem die Umweltbedingungen eine Rolle: Allele, die dafür sorgen, dass Pflanzen in ihrer Umgebung besser gedeihen, werden in der Regel häufiger.
Bei den genetischen Untersuchungen zeigten sich nun zwei interessante Trends: In den ersten zwölf Jahren veränderte sich die Allel-Häufigkeit der Gerste auf beiden Feldern in dieselbe Richtung. „Wir interpretieren das als eine Anpassung der durch die Einkreuzung mit Wildgerste sehr diversen Populationen an die Standortverhältnisse“, sagt Dr. Agim Ballvora, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. „Faktoren wie Klima, Boden und insbesondere Tageslängen waren ja für beide Populationen identisch.“ In den Jahren danach entwickelten sich die Allel-Frequenzen der beiden Kulturen jedoch zunehmend auseinander. So reicherten sich unter Öko-Bedingungen vor allem Genvarianten an, die für eine geringere Empfindlichkeit gegen Nährstoff- oder Wassermangel sorgen - also etwa Allele, die die Struktur der Wurzel beeinflussen. „Ein Grund dafür ist vermutlich die stärker schwankende Nährstoff-Verfügbarkeit im Ökolandbau“, meint Léon.
Genetische Heterogenität erleichtert die Anpassung
Die konventionell angebaute Gerste wurde zudem mit der Zeit genetisch immer einheitlicher; die einzelnen Pflanzen auf dem Feld ähnelten sich also hinsichtlich ihres Erbguts von Jahr zu Jahr stärker. Bei der Bio-Gerste blieb die Heterogenität dagegen höher. Auch im zeitlichen Verlauf schwankten die Allelhäufigkeiten in der Ökokultur stärker. Das heißt, dass sich in manchen Jahren andere Allele anreicherten. Grund dafür könnte sein, dass die Umweltbedingungen im Biolandbau stärkeren Schwankungen unterliegen als bei konventionellen Anbaumethoden: Wenn etwa in einem Jahr der Befall mit bestimmten Pflanzenkrankheiten zunimmt, sind Allele besonders gefragt, die die Pflanze dagegen schützen. Die Variabilität ihrer Umwelt zwingt die Pflanzen also quasi zu mehr genetischer Heterogenität. „Denn dadurch fällt es ihnen leichter, sich auf derartige Veränderungen einzustellen“, sagt Léon.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse, wie sinnvoll die Züchtung von Sorten ist, die für den Biolandbau optimiert sind. Denn sie sind aufgrund ihrer an diese Bedingungen angepassten genetischen Ausstattung robuster und versprechen höhere Erträge. „Zudem scheint es sich zu lohnen, bei der Züchtung auch ältere Sorten oder sogar Wildformen einzukreuzen“, erklärt Léon. „Davon können unseren Daten zufolge selbst konventionelle Hochleistungssorten profitieren.“
Zur Pressemitteilung der Universität Bonn:
https://www.uni-bonn.de/de/neues/107-2024 | 13.05.2024